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Zinalrothorn

Zinalrothorn

Mountaineering/Alpine
ZS, 3a
Date of tour
16.8.2020
Tour started at
03:11
Tour finished at
16:56
Active time in hours
13.5 hrs
Distance in km
14.5 km
Ascent
1500 m
Descent
2800 m
Lowest point
1630 m
Highest point
4221 m
mountain (alpine)
Zinalrothorn 4221 m
mountain
L'Epaule du Rothorn 3921 m
ridge
Arête du Blanc 3679 m
glacier
Glacier du Mountet
Glacier de Moming
Rothorngletscher
valley
Mattertal
building
Rothornhütte SAC 3151 m
city/place
Zermatt

Ich bin schon etwas nervös. Jedes Mal. Was kommt da oben auf mich zu? Wie werden die Kletterstellen sein? Bin ich der Sache gewachsen? Ist es schlimm, dass ich nicht schlafen kann? Ausgeruht wärs mir schon wohler - aber durch das Drüber-Nachdenken kann ich auch nicht besser pennen — Jan meint, der Firngrat wäre heftig ausgesetzt, nach Norden hin extrem steil abfallend. Wie wird der Schnee sein? Natürlich sind da gute Stufen drin, also alles kein Problem. Werden wir die Eisschrauben brauchen? Kann ich überhaupt noch klettern? Wird das Wetter halten? Warum bin ich eigentlich nur auf Nordgraten unterwegs?

2:15 Uhr - Bewegung um mich herum. Fuck, gerade habe ich tatsächlich kurz geschlafen! Ohropax raus, Klamotten an, runter zum Frühstück. Wir sind die ersten, eine halbe Stunde früher als „normal“ - kann ja nicht schaden. Für jeden gibt es genau: 4 Scheiben Brot, 2 Stück Butter, ein bisschen Marmelade und 1 Schälchen Müsli - und eine Tasse Pulverkaffee. Geil.

Abmarsch um 3:15 Uhr - wir Bergsteiger sind schon ein verrücktes Volk, draussen auf dem menschenverachtenden Gletscher, zu einer Zeit, zu der Normalmensch schläft. Und wir finden es toll! Die kühle Luft von unten, die Milchstrasse am Himmel, das wackelnde Stirnlampenlicht auf dem Eis und auf den Felsen - gehend und kletternd in unserem kleinen Lichtkegel der Realität.

Da der Gletscher grösstenteils schneefrei ist, gehen wir alles seilfrei und kommen gut voran. Auch der Bergschrund hinauf zum Grat ist unproblematisch. Gute Tritte im harten, aber nicht vereisten Firn führen über die Arête du Blanc zuletzt relativ steil hinauf zu den Felsen. Da die Spur fünf Meter unterhalb des Grates verläuft, ist die Ausgesetztheit hier kein Thema.

Kurz vor Sechs am Ende des FirngratsDann die Felsen. Wir kraxeln mit den Steigeisen hinein. Etwas heikel die ganze Sache. Müsste hier nicht eine 3a-Kletterstelle sein? Jeder probiert seine Variante, dann erreichen wir eine gute Stelle, wo wir die Eisen loswerden. Andreas verliert beim Packen seinen Pickel - ein kurzer Schockmoment. Den steilsten Firnteil haben wir zum Glück hinter uns, daher gehen wir einfach weiter - er wollte ja eh einen neuen kaufen. Dennoch rasen auch hier wieder diese Gedanken durch meinen Kopf: Das hier ist eine ernste Sache. Wenn ich was wichtiges verliere, dann ist das möglicherweise ein Problem. Später, als mir beim Klettern das Abseilgerät vom Gurt fällt und gerade noch so in einem Riss landet, wird mir das noch einmal deutlich bewusst. Learnings für die Zukunft: Gut auf den Pickel achten und den Karabiner vom Tuber zuschrauben!

Meine Finger sind kalt - wie immer. Eine Weile sind sie taub und fühlen sich an als wären sie doppelt so dick. Langsam dämmet es, die Sonne kommt heraus, wir starten mit der Kletterei, die Finger werden warm, alles wird gut!

Und wie gut es wird! Die Kletterei wird immer spannender, der Grat immer schmaler. Wir gehen gleitend - Reibung ist fast zu viel da zwischen den ganzen Türmchen und Zacken. Die Türme sichern wir mit Standplatz. Alle Kletterstellen sind durchgängig mit 3a bewertet, obwohl sie sich deutlich voneinander unterscheiden. Ich wundere mich einmal mehr, was noch alles als 3a durchgeht.

Geniales MorgenpanoramaJetzt ist die Sonne draussen. Wir haben das ganze Panorama um uns herum, von Matterhorn bis Dent Blanche erstrahlen alle Gipfel unter blauem Himmel. Was für ein Blick, doch schade, dass man ihn nicht geniessen kann. Vier Kletterstunden bis zum Gipfel haften die Augen auf meinen Händen und meinen Füssen. Hier muss jeder Griff und jeder Tritt sitzen. Keine Stolperer, keine hakeligen „ich probier das jetzt mal“-Klettereien.

Die schärfste Stelle - das RasiermesserBald erreichen wir die schönste Stelle: Le Rasoir, das Rasiermesser. Laut Silbernagel-Führer eine Stelle, bei der „so manches Grossmaul schluckt“. Ich geniesse es: Eine gutgriffige Gratkante, die Füsse auf kleinen Leisten, unter mir der gähnende Abgrund. Ich steige hinauf aufs Messer, setze mich rittlings darauf und fühle mich wie der König der Welt. Ich kann mich halten, ich bin sicher, eine fokussierte Anspannung, aber nicht nervös. Vor nicht einmal fünf Jahren hätte ich jeden als Verrückt bezeichnet, der so etwas macht, ich habe gezittert beim Anblick von Bergsteigern an wilden Graten. Warum fühle ich mich jetzt hier so wohl? Was ist passiert? Bin ich tatsächlich zum Alpinisten geworden? Sicher fehlt mir noch viel Erfahrung, aber diese Selbständigkeit am ausgesetzten Grat, das gute Gefühl, die Technik zu beherrschen, meinen Kopf und Körper zu kontrollieren, um so etwas selbständig machen zu können… — Ein oder zweimal mache ich Platz für einen Bergführer mit Kunden: Halt dich hier, halt dich da, ich häng dir das ein, komm jetzt da hoch, geh jetzt da runter… boah, ich bin ja so privilegiert, die letzten Jahre mit Touren und Ausbildung haben sich wahrlich ausgezahlt!

Sitzend auf Le Rasoir :-)

Wir queren einen mächtigen Turm, so schräg, als würde er bald vom Grat fallen. Ich gehe zu weit oben, merke es zu spät, verliere viel Zeit beim vorsichtigen hinunterhangeln. Eben das: Entscheidungen treffen, die Konsequenzen ertragen, einen Ausweg finden. Eben das ist es, was den Bergsteiger ausmacht, was ihn unterscheidet vom Kletterer, der dem Führer folgt. In diesen Momenten ist es nervig und fühlt sich nicht gut an, aber genau diese Erfahrungen sind es, die einen voranbringen.

Der letzte Aufschwung ist die „Bosse“, ein mächtiger Turm, den wir in drei Seillängen einfach durchklettern. Ich schaue auf meine Uhr, wir sind schon auf 4340… Moment, da stimmt was nicht. Ich klettere weiter, schaue wieder drauf: 4400m, ein paar Minuten später 4500. Fuck, der Luftdruck fällt offenbar so schnell, dass die Uhr meint, wir wären in einer halben Stunde 400 Meter aufgestiegen. Das ist nicht gut, da Nachmittags ja auch Gewitter angesagt sind. Der „Spike“ im Höhenprofil liegt im übrigen daran :-)

Yeah!

Nach genau sechs Stunden stehen wir auf dem Gipfel, fassen Jesus an die Beine (und an den Po) und posieren fürs Foto. Ausser uns sind nur noch zwei andere oben - gut dass wir etwas früher losgegangen sind. Dennoch können wir nicht lange bleiben: Wir wollen ja noch ganz hinunter bis Zermatt, und wir werden noch fünf Stunden brauchen bis zur Rothornhütte.

BinerplatteJan und Martin sind schon weg, irgendwo hinter der Kanzel. Dann geht es hinab. Steil. Sehr steil. Und wild! Immer wieder im oberen Teil des Normalwegs kommt ein kleiner „What the fuck“-Moment. Auch hier gibt es viele ausgesetzte Stellen. Auch hier muss jeder Schritt sitzen. 8-9 Stunden benötigt es volle Konzentration in Kopf und Körper. Beim Abstieg passieren die Fehler, das ist mir klar. Stellen, die im Aufstieg einfach wirken, sind im Abstieg oft heftiger. Jede Bewegung mache ich bewusst. Nach der ein oder anderen luftigen Querung kommen ein paar Eisenstifte auf der abschüssigen (Biner-)Platte. Zunächst klettern wir ab, merken aber bald, dass wir besser abgeseilt hätten. Dann stehen (oder hängen) wir plötzlich mitten im Stau. Bergführer gehen vorbei, neben mir drückt sich ein schwer atmender Kunde an mich heran, der nicht genau zu wissen scheint, was gerade passiert. Ich mache ihm Platz, sichere mich irgendwie am Eisenstift, dann seile ich mich ab. Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, dann sind wir an der Gabel an der Abzweigung zum Rothorngrat, und wieder mit unseren zwei Kollegen zusammen.

Gabel/CouloirAber es ist noch lange noch nicht vorbei: Jetzt geht es hinunter durch das Couloir, eine steinschlaggefährdete Rinne. Auch hier müssen wir teilweise im oberen zweiten Grad abklettern. Oben ruft jemand „Steeein!“, ich drücke mich an den Felsen, schaue nach rechts. Etwa zehn Meter entfernt in der Rinne sehe ich den Brocken, der hinunter poltert. Unten brüllt jemand zurück - etwas wie „Was seid ihr für depperte Idioten da oben!“ - dann kehrt wieder Ruhe ein. Die Rinne ist länger als gedacht. Wenn man sich rechts hält, ist man grundsätzlich aus der Steinschlagzone raus. Unten queren wir schnell und sind bald im sicheren Terrain. Ab hier: Firngrat. Puuh!

Und dann das Ding noch zum Schluss...Wir sind immer noch auf 3800 Metern. Noch lange nicht unten. Doch jetzt ist das Gelände okay. Der Firn ist noch halbwegs trittfest, die Steilheit hält sich in Grenzen. Ein bisschen Schutt- und Blockgelände, ein bisschen Wegsuche inklusive Verhauern - auch das gehört dazu. Dann, auf 3400m kurz vor dem Gletscher, stehen wir vor einem eklig brüchig aussehenden Couloir, in dem man etwa fünf Meter im knappen 3. Grad absteigen muss. Oh Mann! Ich probiere es, aber plötzlich habe ich Schiss. Wo ist er jetzt hin, der Alpinist? Nach zehn Stunden Konzentration merke ich, wie die übervorsichtige Mimose sich langsam in mir ausbreitet. So kurz vor dem sicheren Gelände nochmal so eine Stelle, in der ein Ausrutscher übel enden könnte. Hin und her, Zeit vergeht, Jan wird schon nervös, dann steigt Andreas ab. Er packt das gut. Als mir bewusst wird, dass Absichern hier nicht gut möglich ist, gehe ich auch hinunter. Natürlich ist es einfach, natürlich schaffe ich es. Easy!

Zum Abschluss dann mein Lieblingsgelände: Rutschiger Firn. Nicht gefährlich, nicht steil, aber es haut mich mehrmals hin. Runterwürgen bis zur Rothornhütte. Endlich da!

Das Wetter hält sich noch gut, dennoch wollen alle runter. Nach einer kurzen Pause geht es die „letzten 1500 Höhenmeter“ (haha) ins Tal. Der Wanderweg ist gutmütig. Steil, aber gut ausgebaut, geht es in endlosen Serpentinen den Hang hinunter, und schliesslich durch ein wildes grünes Gelände am rauschenden Triftbach entlang hinab bis nach Zermatt. Plötzlich donnert es, ein paar Regentropfen fallen, dann ist alles schon wieder vorbei. Es zieht sich, es zieht sich extrem, aber irgendwann sind wir am Bahnhof: 13.5 Stunden auf den Beinen! Nach einem wohlverdienten Eis steigen wir in den Zug und fahren heim. Nachts um Zehn bin ich daheim, um Elf im Bett, und beschliesse, dass ich am nächsten Tag eine Stunde später als üblich aufstehe ;-)

Was für eine Hammer Tour!

Kurz vor Sechs am Ende des Firngrats
Jetzt wirds ernst!
Sieht kurz aus
Geniales Morgenpanorama
Gratkraxler
Die schärfste Stelle - das Rasiermesser
Sitzend auf Le Rasoir :-)
Yeah!
Gipfelpanorama
Dent Blanche
Gipfelaufbau
Binerplatte
Gabel/Couloir
Rückblick ins Couloir
Steinböcke, ohne Angst
Und dann das Ding noch zum Schluss...
Wieder im Grünen!
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