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Ortler via Meranerweg

Ortler

Mountaineering/Alpine
WS+
Date of tour
31.7.2020
Tour started at
04:42
Tour finished at
15:46
Active time in hours
10.5 hrs
Distance in km
9.3 km
Ascent
1801 m
Descent
953 m
Lowest point
2188 m
Highest point
3905 m
mountain (alpine)
Ortler - Ortles 3905 m
building
Payerhütte 3029 m

Aufstehen um 3:45 Uhr, Frühstück um 4 Uhr,. Von dem Papierbrot muss man 8 Scheiben essen, um den Magen zu füllen. Um 4:45 Uhr geht es los. Über einen Schutthang in eine Rampe, dann hoch auf den Grat. Irgendwann beginnen die versicherten Stellen, die uns noch lange begleiten werden. Klettersteigartig geht der felsige Meraner Weg rund 1000 Höhenmeter hinauf. Manchmal ist das Stahlseil nützlich, manchmal ist es hinderlich, manchmal gibt es stattdessen ein Tau, oder oft auch gar nichts. Abschnitte in festem Fels wechseln sich ab mit schuttigen Passagen, in denen man das Gefühl hat, der Berg könnte unter einem wegrutschen.

Die entschärfte SchlüsselstelleUm 8 Uhr, nach über drei Stunden, erreichen wir die „ehemalige Schlüsselstelle“. Eine überhängende Wand, an der nun eine Leiter steht, die allerdings nicht ganz hoch genug ist. Oben gibt es aber auch wieder ein Stahlkabel - somit gehört diese Stelle noch zu den leichteren auf dem langen Weg. Der Weg führt weiter über ein grosses Geröllfeld, und dann, nach genau 4 Stunden, stehen wir am Gletscher auf 3400 Meter. Zwei Drittel sind geschafft!

Der erste steile Aufschwung auf dem Eis ist fast komplett aper. Stefan steigt vor und legt ein Fixseil hinein, an dem wir uns alle sicher diese eisigen 50 Meter hinauf sichern können. Oben legt sich der Gletscher zurück und hat eine gute Schneeauflage. In sanften Linien geht es hinüber bis hinter einen Aufschwung, wo wir auf den Normalweg treffen. Den Gipfel sehen wir noch nicht. Zunächst müssen wir noch um einen weiteren Hubel herum, dann weitet sich der Blick wieder und der Gipfel kommt zum Vorschein - leider verhangen in einer grauen Wolke. Während wir durch eine kleine Spaltenzone marschieren, starten Gleitschirmflieger vom Gipfel - was ein deutlich einfacherer Abstiegsweg ist als der, der uns noch bevor steht.

Die letzten Meter zum Gipfel ziehen sich. Die Muskeln in den Beinen fangen an zu brennen, wir spüren die vielen Höhenmeter und den geringen Sauerstoff auf fast 4000 Metern. Um 11 Uhr, nach genau 6 Stunden, sind wir endlich oben und sehen… nichts! Die erste Seilschaft rund um Patrick steigt wieder ab, um für uns Platz zu machen. Wir beschliessen trotzig, zu bleiben, bis es aufmacht. Und tatsächlich, nach rund 20 Minuten, passiert es: Ganz kurz verziehen sich ein paar der Wolken und wir sehen den Gipfel der Königsspitze. Das Spektakel dauert nicht lange. Nach dem Gipfelfoto geht es auch für uns wieder nach unten. Ein Pärchen, das gerade über den Hintergrat aufgestiegen war, fliegt mit dem Tandemschirm davon. Aber das wäre ja viel zu einfach: Wir sind da hoch gegangen, jetzt gehen wir auch wieder runter!

Ins BärenlochDer Normalweg hat es nochmal in sich. Der am Mittag weicher gewordene Gletscher hat einige Spalten vorzuweisen. Über ein äusserst schmales Band geht es en einer steilen Stelle hinunter - hier fühlt es sich ausnahmsweise nicht gut an, am Seil zu gehen. Ein Zug zuviel von vorn oder von hinten, und man könnte ausrutschen. Alles geht gut. Wir erreichen das Ende der ersten Gletscherpassage auf einem Felsplateau auf 3400 Meter. Links geht es eine steile und sehr sulzige Schneerinne hinunter, weiter vorne ist Felsgelände. Stefan geht vor und sucht nach einem Weg durch den Fels. Nach einer Weile ist klar, dass es dort nicht weiter geht. An einem Felsblock, um den praktischerweise bereits ein Seil hängt, baut Patrick eine Ablass-Schaukel auf. So geht es durch die Rinne, in der tatsächlich ein kleiner Bach unter dem Schnee fliesst, an einem bedrohlich aussehenden Gletscherbruch vorbei hinab ins „Bärenloch“.

Noch ein Klettersteigchen...Unten angekommen kommt gleich die nächste spannende Stelle: Ein kurzes Stück Klettersteig, auf dem man ausgesetzt auf ein paar Drahtstiften durch eine platte, fast senkrechte Wand hindurch quert. Danach folgt Schutt auf Eis. Bei jedem Schritt hat man das Gefühl, dass man gleich abrutschen könnte. Eine kleine Wolke, die ein paar Regentropfen bringt, lässt diese Passage nicht angenehmer werden. Vor uns sehen wir die Gruppe um Stefan, die an einem Wändchen abgelassen wird. Wenig später sind wir auch dort. So geht es noch eine Weile weiter. Die Hütte erscheint manchmal zum Greifen nah, dann wieder unendlich weit entfernt. Bald verschwindet sie ganz hinter den vor uns aufragenden Felstürmen.

Abstieg am "Wandl"Nach der Abseilstelle müssen wir ein paar Mal abklettern, bis schliesslich das „Wandl“ erreichen: Hier geht es kettenversichert nochmal rund 70 Meter hinab. Doch selbst das ist noch nicht das Ende: Nochmal geht es hinauf, dann hinab, dann quert man eine Platte, dann noch etwas hinauf, um die Ecke herum, durch eine Felsscharte hindurch, und dann erscheint endlich die Hütte, die beeindruckend auf einem grossen Felsen steht.

Um 15:45 Uhr, genau 11 Stunden nach dem Start bei der Berglhütte, erreichen wir unser Ziel, das Refugio Payer. 1800 Höhenmeter hinauf, rund 1000 Höhenmeter hinunter: Da hat man sich den Kaiserschmarren doch verdient - vor allem, da es erst um 19:30 Uhr Abendessen gibt, weil in 2 Schichten gegessen wird. Der Gastraum in der Hütte ist zu klein für die Anzahl Schlafplätze auf 3 Stockwerken.

Die Julius Payer Hütte

Die Payerhütte unterscheidet sich enorm von der Berglhütte: Es gibt hier auf dem Normalweg natürlich viel mehr Gäste. Die weisshaarige Hüttenwirtin im Dirndl ist schon sehr alt und vielleicht auch deshalb ängstlich wegen Corona. Alle Bediensteten laufen mit Mundschutz herum. Der Schuhraum soll nicht benutzt werden, Hüttenfinken muss man selbst mitbringen. Die Gäste werden dennoch zu nichts gezwungen. Wir beziehen unser Lager im Dachstock. Hier sieht es aus wie in einer Militärkaserne. Die Doppelstockbetten haben alle dicke, extrem durchgeleene Matratzen. Unten hat man nicht mal einen Meter Platz bis zur „Decke“, oben muss man aufpassen, dass man nicht gegen einen Balken poltert, ausserdem sind die Betten mit rund 1.85m nicht die längsten - gut wenn man nicht zu gross ist. Die Holzdielen knarren bei jedem Schritt, man merkt auch dieser Hütte das enorme Alter an - und dennoch herrscht im Gastraum aufgrund der Belebtheit ein deutlich intensiveres „Hüttengefühl“ als auf der Berglhütte.

Das Abendessen lassen wir uns schmecken. Es gibt sogar Varianten zur Wahl: Gulasch oder Schnitzel, Suppe oder Pasta. Ich entscheide mich für Spaghetti Bolognese, das Gulasch, nochmal Spaghetti (Nachschlag), und dann für ein Tiramisu - dem allerdings alle wesentlichen Tiramisu-Zutaten fehlen.

Trotz der harten Tour empfinde ich die Nacht als übel. Das Bett ist furchtbar, ich schlafe schlecht, um Vier bin ich schon wieder wach, und dann rumpelt auch noch die Gruppe von nebenan, komplett ohne Rücksicht auf die Schlafenden rund 40 Minuten laut quatschend umher, bis auch der letzte fertig angezogen das Lager verlässt. Meine Güte: Als ich vor Jahren noch auf alpinen Hütten als „Nur-Wanderer“ übernachtete, habe ich mich immer aufgeregt über die Bergsteiger, die das Massenlager mit grossem Getöse verlassen, und seither schaue ich, dass ich das Lager immer innerhalb von maximal 5 Minuten räumen kann: Rausgehen, Tür zu machen, und dann irgendwo draussen fertig anziehen - Rucksack ist ja eh schon gepackt. Das kann ja nicht so schwer sein. Umso eindrücklicher fand ich, dass einige aus der Gruppe offenbar so gut gepennt haben, dass sie von diesem Getöse NICHTS mitbekamen. Einer dieser Momente, an denen ich mir wünschte, tief und fest und überall schlafen zu können…

Ortler - von rechts nach links
Die entschärfte Schlüsselstelle
Die Königsspitze kommt kurz raus
Blick hinab Richtung Hintergrat
Ins Bärenloch
Noch ein Klettersteigchen...
Die Felsen nehmen kein Ende
Abstieg am "Wandl"
Die Julius Payer Hütte
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